Kolumne: Was uns frei macht – und warum ich Sirtaki im Mohnfeld tanze

Kolumne: Was uns frei macht – und warum ich Sirtaki im Mohnfeld tanze

„Ich kenne niemanden, der sich so viel über seinen Job beschwert, wie ihr“, sagte Flori und meinte mich und meine Journalisten-/Blogger-/Influencer-Freunde. Mir fiel auf, dass er Recht hat. Wann auch immer ich Besuch von meinen Freundinnen bekomme, die in derselben Branche arbeiten, geht es um die Arbeit. Und wie doof alles ist.

Es ist wirklich zum heulen: Die gedruckten Zeitschriften werden immer weniger, Online-Redaktionen schrumpfen, die Tagessätze sinken, Rechnungen werden monatelang nicht bezahlt, Texte für 250 Euro Honorar gehen 3x Mal in die Korrekturschleife. Für Frauen, die ihre Kinder nicht nur beim Schlafen sehen möchten, gibt es in dieser Branche wenig Verständnis und überhaupt: Gegen die Digitalisierung haben wir doch eh alle keine Chance. Der Link ist tot und bei allen anderen läuft es viel besser, als bei einem selber.

Eine Freundin hat ähnlich wie ich das Gefühl, seit Jahren in einem sich immer schneller drehenden Hamsterrad zu laufen – und trotzdem ist es nie genug. Eine andere Freundin empfindet ein schlechtes Gewissen, wenn sie längere Zeit nichts auf Instagram gepostet hat. Auch das kenne ich.

Für uns Freie ist der Instagram-Account das, was früher die Textmappe war: Werbung für den persönlichen Coolness-Faktor. Deshalb versucht man geschmackvolle Fotos zu machen, was manchmal einen Nachmittag dauert. Dann postet man die Bilder und verliert Follower. Sinnleere macht sich breit.

Immer wieder geht es in den Gesprächen mit meinen Freundinnen um Instagram. Alle sind genervt: Von dem „Schön & reich“-Gehabe der anderen versus dem eigenen Dahinkrepeln. Es geht um Leistung und Urteile: Was haben wir tolles gemacht? Was haben wir geschenkt bekommen? Und wie bewerten uns dafür die anderen?

Ich möchte an dieser Stelle nicht undankbar wirken: Ich habe bei Elle.de einen super Job und dank der sozialen Medien bin ich mit vielen Menschen in Kontakt, die meine Art zu schreiben und meinen Humor mögen. Das baut mich auf. Ich bin richtig stolz, wenn jemand sagt, dass er die Villa Peng kennt. Aber so wie viele meiner Freundinnen denke auch ich immer häufiger: Ich bin jetzt 40, ups 41. War das alles?

So viele Erwartungen gilt es zu erfüllen. Vor allem die eigenen fühlen sich in manchen Nächten wie ein Felsbrocken auf der Brust an: Ich kann nichts, ich bin nichts, ich habe nichts. Abgesehen von den Hermès Oran Sandalen, meine ich.

Als letzte Woche sowohl Flori als auch die Oma komplett ausfielen, bekam ich einen Geschmack davon, was alleinerziehende Mütter stemmen müssen. Das war echt krass. Zeit für mich und meine bahnbrechenden Zukunftsvisionen? Zwei Minuten auf der Toilette, in denen ich nachdenken konnte, bevor zwei kleine Fäuste gegen die Tür trommelten und meine Tochter „Maaammmaa, bissu hingegangen????“ rief.

Ich kam zu dem Schluss, dass ich mich von noch mehr Sachen trennen muss, die mich stressen. Natürlich meine ich damit nicht mein Kind. Aber in den letzten zwei Jahren war ich darin schon sehr konsequent: Menschen mit negativen Aura flogen aus meinem Freundeskreis und Käsebrote zugunsten einer Low-Carb-Ernährung vom Speiseplan. Jetzt geht es um die Dinge, die ich nicht schaffe, aber glaube, schaffen zu müssen. Mein Wunsch: Ich will mich wieder frei fühlen. Frei von (Geld)sorgen, (Zukunfts)angst und (Karriere)druck.

Die wichtigste Lektion, die ich dafür lernen muss, ist „Nein“ zu sagen. Auch zu den Dingen, die mir mein Ego auferlegt. „Der Unterschied zwischen erfolgreichen Menschen und sehr erfolgreichen Menschen ist, dass sehr erfolgreiche Menschen zu fast allem Nein sagen“, habe ich in dieser Woche in einem Artikel gelesen und gleich für einen meiner Texte verwurstet. Das Zitat stammt von Warren Buffett, einer der reichsten Menschen der Welt. Deswegen ist er per se kein Vorbild für mich, aber das Zitat ließ mich nachdenken. Denn ich sage tendenziell zu allem „Ja“. Und genau so mache ich mich selber fix und alle.

Meine To-Do-Liste ist endlos. Seit Monaten stehen zum Beispiel ganz oben: „Home Office aufräumen“, „Neuen Schrank kaufen“, „Fenstergriffe bestellen“, „Klamotten auf Ebay Kleinanzeigen“, „Versicherungen kündigen“ oder „Facebook aktualisieren!!“

Anhand von Facebook lässt sich das Problem gut beschreiben: Ich habe eine Seite für Alexa Peng, eine für Villa Peng, eine für die Bestseller-Autorin Alexa von Heyden, mein Schmucklabel vonhey, das inzwischen auf Eis liegt, und meine private. Fünf Facebook-Profile für ein Furzlicht aus Wusterwitz: Sehr ambitioniert, könnte man sagen. Oder: Wie irre ist das denn? Ich habe also beschlossen: Die überflüssigen Facebook-Seiten müssen weg.

Statt alle meine Profile aktuell und mich damit scheinbar erfolgreich wirken zu lassen, möchte ich viel lieber meiner Tochter die Regenwürmer im Garten zeigen und endlich die alten DDR-Tomatensorten und das Pfirsichbäumchen einpflanzen, die ich von meinem Fahrlehrer geschenkt bekomme habe. Jetzt kommt die Heyden wieder mit ihrem „Das Landleben ist ja so viel schöner“-Gesülze, denkt der ein oder andere Leser vielleicht.

Der Biologe und Philosoph Dr. Andreas Weber aber bestätigt, dass wir uns angekommen fühlen, wenn wir im Grünen sind. In einem Interview mit Brigitte beschrieb er die „Biophilia acuta“, die Sehnsucht nach der Verbundenheit mit der Natur. Die Natur erlaubt uns so zu sein, wie wir sind, ohne eine Leistung von uns zu fordern. „Wir Menschen haben vergessen, dass es toll ist einfach nur zu sein“, sagt Dr. Weber. Denn in der Gegenwart der Natur erfahren wir uns als produktives Wesen – und dass wir heil sind.

Deshalb tanze ich jetzt Sirtaki im Mohnfeld, statt meine Facebook-Seiten zu aktualisieren.

Alles Liebe, Eure Lexi

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