6 Jahre nach meinem Bestseller „Hinter dem Blau“: Was hat sich seitdem verändert?

6 Jahre nach meinem Bestseller „Hinter dem Blau“: Was hat sich seitdem verändert?

Am 15. April 2013 erschien mein Debüt als Buch-Autorin: „Hinter dem Blau“ (HdB) und schoss kurz darauf auf die SPIEGEL-Bestsellerliste. Darin erzähle ich die Geschichte meines manisch-depressiven Vaters, der sich das Leben nahm, als ich fünf Jahre alt war.

In dem Buch geht es darum, was nach seinem Tod mit meiner Familie geschah und wie ich fast 30 Jahre lang unfähig war, mich mit meinem Vater und der Ursache für seinen Selbstmord auseinander zu setzen. Aus Angst, Scham und weil mir einfach keiner sagte, wie.

„Hinter dem Blau“ veränderte vieles. Für meine Familie, besonders für meine Mutter, war es wie eine Therapiesitzung. Ich danke dem Eden Verlag und der Verlagsleiterin Jennifer Kroll bis heute, dass sie das Buch auf den Markt gebracht haben.

Zehn Jahre lag es in meiner Schreibtischschublade, weil ich als Studentin keinen Verlag finden konnte. Nach der Veröffentlichung landete es dank zahlreicher Medienberichte auf der SPIEGEL-Bestellerliste und hielt sich dort wochenlang – trotz der Sommerferienzeit, in der man ja eigentlich lieber Unterhaltung am Strand haben möchte.

Ich machte viele Interviews, wurde in Talkshows eingeladen, z.B. von Bettina Böttinger in den „Kölner Treff„, und las öffentlich auf der Leipziger Buchmesse vor. Es war eine aufregende Zeit – ganz anders als meine Schulzeit, in der ich mich für das Halbwaise-sein geschämt und deshalb auf extracoole Skatebetty gemacht habe.

Ich gebe zu: Als HdB offiziell auf der SPIEGEL-Bestellerliste stand und in der Buchhandlung am Flughafen ganz vorne auf dem Tisch lag, fühlte ich mich wie ein kleiner Star. Alle lobten mich für meinen Mut.

Privat flog mir dagegen meine erste Ehe um die Ohren. Vorne rum war ich glücklich und erfolgreich, kaum saß ich im Hotelzimmer flossen die Tränen. Ich hatte Angst vor der Zukunft und suchte einen neuen Weg. Dank Flori fand ich ihn und wurde vor zwei Jahren Mutter einer kleinen Tochter, die so viel mehr Sinn und Liebe in mein Leben gebracht hat.

Außerdem bin ich froh sagen zu können, dass ich mich mit meinem Ex-Mann wieder gut verstehe. Unsere Trennung habe ich in meinem zweiten Buch „Meine Sonne. Mein Mond. Meine Sterne.“ verarbeitet. Er ist heute einer meiner besten Freunde – obwohl wir uns damals gegenseitig so wehgetan haben und mein zweites Buch ein bisschen zu schnell auf den Markt kam.

Was hat sich seitdem noch verändert? Hat mein Buch etwas für Menschen mit Depressionen bewirkt? Damals habe ich ein Tabu gebrochen. Ich war eine Hinterbliebene, die sich mit ihrer Geschichte an die Öffentlichkeit getraut hat bzw. deren Geschichte durch die Medien ging.

Bin ich mit meinen Büchern reich geworden? Auf jeden Fall reich an Erfahrungen und Austausch mit halbverwaisten Kindern wie mir. Nach der Veröffentlichung von HdB bekam ich wirklich sehr viele Briefe und Nachrichten per Facebook.

Ich konnte nicht alle beantworten. Die Zeit fehlte und irgendwann auch die Kraft. Manche Leser standen in meinem damaligen Laden in der Brunnenstraße mit einem Buch in der Hand auf der Matte und baten um eine Widmung. Für viele war ich der erste Mensch überhaupt, mit dem sie über den Selbstmord ihres Vaters, Mutter, Tochter oder Sohnes sprachen. Mit dieser Rolle war ich überfordert.

Natürlich hörte ich ihnen allen zu, denn sie konnten sich niemand anderes anvertrauen. Das ist ein Gefühl, das ich gut kenne. Es ist ein luftleerer Raum, in dem man mit seiner Trauer, Wut und Selbstvorwürfen schwebt.

Im Pressekodex des deutschen Pressrats heisst es: „Die Berichterstattung über Selbsttötung gebietet Zurückhaltung. Dies gilt insbesondere für die Nennung von Namen, die Veröffentlichung von Fotos und die Schilderung näherer Begleitumstände.“ Das verstehe ich. Man möchte keine Nachahmer aus der Reserve locken. Unter jedem Artikel steht der Hinweis für die Telefonseelsorge, die man als depressiver Mensch mit Selbstmordgedanken anrufen soll. Ich finde, das ist zu wenig.

Denn was in den deutschen Medien ebenfalls kaum stattfindet, ist die Berichterstattung über Familien wie meine und über Kinder wie mich. Denn jeder Selbstmord betrifft doch auch Eltern, Geschwister, Partner, Kinder, Freunde, Kollegen, Nachbarn. Sie alle werden mit ihrer Trauer und Fragen alleine gelassen.

Avicii, Anthony Bourdain, Kate Spade, Keith Flint von The Prodigy: Das sind ein paar der prominenten Selbstmörder 2018/2019. Jeder Selbstmord schockt uns. Die Frage dahinter ist: Was macht das Leben lebenswert, wenn nicht Reichtum und Prominenz?

Für mich war es damals in der Aufarbeitung wichtig zu verstehen, dass Depressionen eine Krankheit sind. Depressionen sind keine schlechte Laune, die man mit einem Spaziergang, Gläschen Rotwein oder Wellness-Urlaub wieder wegfegen kann. Ich verachte Menschen, die Menschen mit Depressionen belächeln. Sie unterschätzen, wie gefährliche diese Krankheit ist und das finde ich arrogant. Es kann jeden von uns treffen.

Wovon ich jedoch überzeugt bin: Selbstmordgedanken sind das Symptom einer Depression. Und dieses Symptom kann man behandeln. Was in den Medien auch noch viel zu wenig stattfindet, ist die Berichterstattung über gute Adressen, d.h. Kliniken oder Ärzte, die schnell, unkompliziert, effektiv und menschlich weiterhelfen. Wenn es sie überhaupt gibt.

Die „Psychiatrie-Reportage“ von Günter Wallraff („Team Wallraff – Reporter undercover“) zeigte kürzlich, wie dramatisch schlecht der Alltag in deutschen Psychiatrien, wie zum Beispiel in den Vivantes-Klinikum in Berlin-Spandau oder das Klinikum Frankfurt-Höchst aussieht. Wo Wirtschaftlichkeit über Menschenwürde steht, da will wirklich keiner hin. Die meisten Menschen wollen zurück ins Leben – und nicht betäubt in einem Krankenhausbett dämmern.

Ich kenne Menschen, die trotz akuter seelischer Krise drei Monate auf einen Termin bei einem Psychologen warten mussten. Das finde ich fahrlässig, denn jedes Jahr sterben in Deutschland 10.000 Menschen durch Suizid.

Ich war vor der Veröffentlichung von HdB übrigens mehrere Monate in psychiatrischer Behandlung in der Fliedner Klinik, um den Tod meines Vaters aufzuarbeiten – allerdings als Privatpatientin. Außerdem habe ich die Seelsorge im Berliner Dom genutzt, wo ehrenamtliche Psychologen auf Spendenbasis beraten. Ich gehe damit genau so offen um, wie mit meiner Kinderwunschbehandlung. Denn irgendwann im Leben braucht jeder von uns einmal Hilfe.

„Gut“ ist laut Günter Wallraff auch das St. Marien-Hospital in Herne-Eickel (NRW) vor, in dem Patienten mit psychischen Problemen nicht auf überlaufene Stationen, überfordertes Personal, Lärm und Gewalt treffen, sondern zur Ruhe kommen können.

Es gibt noch mehr erfreuliche Nachrichten: Diana Doko und Gerald Schombs von Freunde fürs Leben bekamen für ihr Engagement zur Aufklärung über Suizid im Dezember 2018 das Bundesverdienstkreuzes verliehen. Darüber habe ich mich sehr gefreut, denn die beiden leisten wirklich viel in der Aufklärung.

Auch große Marken öffnen sich dem Thema: Das Label Monki arbeitet zum zweiten Mal mit der mit der NGO Mental Health Europe zusammen und veröffentlicht im Mai 2019 die Kampagne „Embrace your feels“, welche die psychische Gesundheit junger Menschen und ihre Auswirkungen auf den Alltag thematisiert.

Prinz Harry und Herzogin Meghan machen sich mit ihrer Stiftung ebenfalls für mentale Gesundheit als Grundlage von gesellschaftlicher und persönlicher Entwicklung stark.

Jetzt schaue ich auf meinen Besteller, der im Regal steht. Werde ich nochmal ein Buch schreiben und die „Sunny-Serie“ fortsetzen? Lust hätte ich schon, denn die Geschichte geht mit meiner Mutter weiter und jeder, der meine Bücher gelesen hat, der weiß, wie wichtig meine Mama für mich ist.

Weiterführende Links (die Liste erhebt keinen Anspruch auf Vollständigkeit!):

Berliner Krisendienst

Depressionshilfe

Familiencoach Depression (von der AOK)

Fliedner Klinik

Freundes fürs Leben

Klinikbewertungen

Rat für Angehörige

Seelsorge Berliner Dom

Team Wallraff

Telefonseelsorge (Hotline: 0800-1110111)

Hinter dem Blau könnt ihr hier kaufen:

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