Es ist nicht so, dass das Schicksal einmal verschnaufen würde und sich umschaut, was es zerstört hat. Der nächste Krater hat sich zwei Wochen nach dem Tod meines Schwagers vor unseren Füßen aufgeworfen.
Und es ist wirklich ein Krater. Zwischen Fassungslosigkeit, Trauerfeier-Reden, Bestatter-Besuchen, Sarg bemalen, Tränen abends auf dem Sofa und meinem im Vergleich dazu leichtfüßigen Autorinnen-Influencer-Pilateslehrerin-Alltag bin ich erwachsen geworden. Immerhin mit 46 Jahren. Was bedeutet das?
Ich versöhne mich gerade mit allen Menschen, mit denen ich in der Vergangenheit Beef hatte. Alles soll geklärt sein. Ich möchte nicht mehr, dass unwichtige Ego-Plänkeleien mich von jenen trennen, denen ich mich nah fühle. Davon gibt es ohnehin nicht viele. Ich rufe also an, wenn ich die Nummer nicht gelöscht habe, und immer zurück – auch wenn ich Herzklopfen und Angst vor einer Abfuhr habe, so als könnte ich das Straßennetz des Universums für gute Energien reparieren.
Ich frage meine Freundinnen, wann ich sie sehen kann und halte meine Termine ein. Ich sage nichts mehr ab, es sei denn, es geht nicht anders. Aber nicht, weil ich lieber auf dem Sofa liegen will. Ich kläre meine Sachen, buche Urlaube weit im Voraus und überlege mir das erste Mal: Wo will ich in 15 Jahren sein? Lebe ich dann überhaupt noch? Wenn ja: Wie soll es mir dann gehen? Wenn nein: Habe ich alles so geregelt, dass meine Familie trauern und heilen kann? Und mal ehrlich:
Was würde mein Bruder oder meine Schwester auf meiner Beerdigung über mich sagen? Habe ich in den Herzen meiner Mitmenschen Spuren hinterlassen oder nur Chaos? Welche Art von Energie erinnert an mich: Mehr Tränen oder mehr Lachen?
Bis ich Mutter geworden bin, habe ich nichts ernst genommen. Wirklich nichts. Jetzt werde ich mir der Verantwortung einmal mehr bewusst für das, was ich hier auf Erden veranstalte. Bin ich für meine Tochter ein Vorbild oder ein Trauma? Was lernt sie von mir? Was lerne ich von ihr?
Der Fakt, dass ich im Gegensatz zu den kranken und inzwischen zu vielen verstorbenen Mitgliedern meiner Familie dazu überhaupt die Zeit habe, hat mich begreifen lassen, wie wertvoll jede Minute gesunde Gegenwart ist. Und die will ich in meiner Wahrheit leben.
Alles, was wir zusammen haben, ist jetzt. Der nächste Moment kann alles ändern und dann schmeißt dich das Schicksal raus aus deinem Leben. Das zu erkennen, hat mich reifen und manche Entscheidungen überdenken lassen. Ich hoffe, ich mache es ab sofort besser.
Foto: Alicia Minkwitz
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Immer 🙂 Ok, meistens ;)))
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Liebe Sarah, danke für deine Offenheit, deine Geschichte hier zu teilen. Ich denke sehr an dich. Alexa
Autor
So gerne, liebe Elke. Fühl dich gedrückt!
Autor
Danke dir, liebe Cindy! Auch für das Lob, über das ich mich freue.
Oh wow, liebe Alexa, deine feinfühlige Stärke (und natürlich deine Schreibe) haut mich echt (immer wieder) um. Ich wünsche dir und deiner Familie von Herzen nur das Beste! Alles Liebe!
Puh, das hat mich jetzt echt gepackt. So gut und wertvoll geschrieben. Mein Papa ist mit 56 J. verstorben, auch viel zu früh ich dachte die Welt stürzt ein. Seit ich einen Tag älter bin als er geworden ist, habe ich erst kapiert, ich muss fpr mich was tun, nicht morgen, ne heute, auch Freunde, Familie alles nicht demnächst jetzt.
Danke für diese Kolumne
Liebe Alexa, ich bin so beeindruckt, wie Du hier über Trauer schreibst und die Leserinnen an Deiner Entwicklung teilhaben lässt.
Ich selber habe mein zweites Kind verloren und Trauer ist so schwierig, keiner mag sich damit befassen.
Also Danke dafür!
Stay strong