13 Monate ist mein Kind nun alt und gerade bei Oma und Opa. Ich habe es so herbeigesehnt, dass sie abgeholt wird, damit ich endlich mal wieder zu was komme: aufräumen, essen, Wäsche machen, aufs Klo gehen oder schreiben. Kaum ist meine Tochter weg, fehlt sie mir. Sie läuft, bekommt Backenzähne und kann „Nein“ sagen. Sie zeigt auf Flori und ruft „Papa“, wenn sie mich sieht sagt sie „Meme-mama“. Als ich sie vor einem Jahr frisch geschlüpft in den Armen hielt hatte ich noch keine Vorstellung davon, wie das Leben mit ihr sein würde. Wie ich als Meme-mama sein würde.
Jetzt staunen Flori und ich über den kleinen, fröhlichen Menschen, der vor uns steht und erinnern uns an die Zeit, in der Baby Peng auf dem Ultraschall so groß wie ein Gummibärchen war und ich ein paar Monate später ihren ersten Karate-Kick in meinen Magen spürte.
So viele Frauen wünschen sich schwanger zu sein und mit einem Kugelbauch durch die Stadt zu wackeln. Auch ich habe mir damals nichts mehr als ein Kind gewünscht und bin dankbar dafür, dass es nach einer Myom-OP und Kinderwunschbehandlung schnell geklappt hat und ich eine relativ unkomplizierte Schwangerschaft erleben durfte.
Mein Kind: Meine wichtigste Aufgabe
Aber hatte ich eine Ahnung davon, was auf mich zukommen würde? Nein. Im Gegenteil: Ich habe immer gesagt, dass mein Kind mit mir mitläuft und sich meinem Tagesablauf anpassen muss. Die Wahrheit ist: Ich selbst finde kaum mehr statt. Wenn es Baby Peng nicht gut geht oder sie keinen Bock auf ihren Kinderwagen hat, dann fahre ich acht Wochen nicht nach Berlin, sondern sitze mir ihr in der Sandmuschel und spiele Sand-in-den-Eimer-Sand-raus-aus-dem-Eimer. Wenn ich das Gefühl habe, dass sich ihr Vater nicht schnell genug um sie kümmert wird mein Ton sofort schärfer. Warum? Weil sie meine wichtigste Aufgabe ist.
Kinder bleiben nicht immer Babys, die man küssen, knuddeln und schmusen kann. Sie werden erwachsene Menschen mit einer eigenen Persönlichkeit. Immer wieder entschuldige ich mich heute bei meiner Mutter dafür, dass ich sie früher so geärgert habe. Mein Bruder hat mal behauptet, dass mir die „harte Hand“ meines Vaters gefehlt habe und ich mich nur deshalb getraut hätte, morgens in die Kneipe statt in die Schule zu gehen. Ich habe gelogen, geklaut, gesoffen und bin nur mit einem Schuh oder gar nicht nach Hause gekommen – was mache ich, wenn sich Baby Peng eines Tages so verhält? Kann ich es verhindern? Eine Freundin meiner Mutter, eine Psychologin, hat mal gesagt: „Zwischen Mutter und Tochter muss es krachen!“ Das hat meiner Mutter damals Zuversicht gegeben.
Angst vor einer einsamen Tochter
Meine größte Angst ist aber nicht die Pubertät. Bei der Krabbelgruppe hier in Wusterwitz können die Kinder spielen und die Mütter nebenbei ihre Sorgen loswerden. Ich fragte: „Was ist, wenn mein Kind keine Freunde findet?“ Das ist meine Horrorvorstellung: ein einsames Kind, das von anderen gehänselt, ignoriert oder gemobbt wird. Erst neulich erzählte mir eine Freundin von ihrer Tochter, die auf Klassenfahrt ging und sie kein anderes Kind an der Bushaltestelle begrüßte. Wie gemein Kinder sein können. Ich wünsche meiner Tochter viele Freunde und dass sie in der Schule weniger Notenstress hat, als ich damals. Vielleicht melden wir sie hier in einem Sport-Verein an. Aber nur, wenn sie Lust hat. Als Mutter will ich mein Kind so fördern, damit es nicht nur ein glückliches Baby, sondern ein glückliches Mädchen und später eine glückliche Frau wird. Wie kann das gelingen?
Gemeinsames Essen als Jour fixe
Zum Beispiel durch das gemeinsame Essen, wie ich durch die Sozialpädagogen im Familienzentrum erfahren habe. Wer das Frühstück, Mittagessen oder Abendessen mit der Familie als Jour fixe hat, um in den Tag zu starten oder über die Geschehnisse zu reflektieren – anstatt alles mit sich selber vor dem Computer auszumachen – wird als Erwachsener weniger anfälliger für Süchte und Kriminalität.
So viele Menschen hadern mit ihren Eltern und fühlen sich rückblickend nicht geliebt genug. Meiner Mutter ist es gelungen, dass wir heute ein super Verhältnis haben, obwohl es zwischen uns fürchterlich gekracht hat. Auch wenn es nicht jeden Tag bei uns ein warmes Mittagessen und oft Chop Suey vom Chinesen gab, weil meine Mutter bis nachmittags arbeiten musste, hat sie im Nachhinein doch so vieles richtig gemacht.
Sie brachte mir früh bei, dass ich eigenverantwortlich handele, also nicht ihr zuliebe gute Noten schreibe, sondern mir zuliebe. Sie hat mir nie das Gefühl gegeben, dass ich sie enttäuscht habe oder in ihren Augen – trotz dauernd einer 5 in Mathe – eine Versagerin bin. Im Gegenteil. Meine Mama war immer mein Fan und hat mich gelehrt, meine positiven Eigenschaften wahrzunehmen. „Du bist witzig“ – das hat mir viel Selbstvertrauen geschenkt, denn ich war in nichts richtig gut, außer in Geschichten erzählen. Oder: „Du bist ein Typ.“ Ich wollte nie blond sein, sondern schwarze oder rote Haare haben. Beides habe ich ausprobiert. Beides sah scheiße aus. Mama hatte Recht.
Und als ich in mein Tagebuch „Ich hasse meine Mutter“ schrieb, und das Büchlein zufällig offen auf meinen Schreibtisch platzierte, kam dieser ewige Satz von ihr: „Egal, was du machst, du wirst es nicht schaffen, dass ich dich nicht mehr liebe.“
Danke, liebe Mama für deine immer fortwährend Liebe. Ich will versuchen, es genau so gut wie du zu machen!