Was ich 2019 über meine Verantwortung als Influencerin gelernt habe

Was ich 2019 über meine Verantwortung als Influencerin gelernt habe

Jahresrückblicke lasse ich aus. Ich schaue lieber nach vorne, statt in der Vergangenheit zu schwelgen, selbst wenn sie nur ein paar Wochen alt ist. Das gilt allerdings nicht dann, wenn ich das Gefühl habe, etwas gelernt zu haben. So in diesem Jahr und zwar über meinen neuen Job als Influencerin.

Mein Landleben in Brandenburg, die Sehnsucht nach Mode in der Provinz, gesundes Mittagessen für Faule, mein Alltag als Mutter einer kleinen Tochter: Ehrlich gesagt suche ich immer noch nach meinem Purpose, was diesen Blog und meinen persönlichen Instagram-Account betrifft. Mich selber würde ich nicht als „Influencerin“, sondern nach wie vor als Journalistin und Autorin, bezeichnen. Und dennoch bin ich 2019 in den Kreis der Influencer aufgestiegen, zumindest sprechen dafür eine Reihe von schönen Kooperationen, für die ich mit diesem Titel angefragt wurde, z.B. von Armedangels, Bosch oder 4711.

Der Begriff „Influencer“ wird, so wie „Blogger“, von den meisten Menschen abwertend ausgesprochen, dabei geht ab einer gewissen Reichweite ein großes Maß an Verantwortung damit Hand in Hand. Das war mein großes Learning für 2019 und gibt mir wichtige Impulse für 2020.

Mikroplastik in der Kosmetik, Carragen im Schoko-Pudding, Werbung für die Pharmaindustrie: Das waren nur drei Vorwürfe, die mir wütende Follower per DM schickten oder in die Kommentare hackten. Über 250 Nachrichten bekam ich während des bislang größten Shitstorms: Als wir unseren Hund Isi nach vier Wochen Probezeit heulend zu einer anderen Familie gaben und ich einräumen musste, dass ich mich mit der Betreuung eines Kleinkindes, Welpen-Erziehung und 45-Stunden-Woche komplett übernommen hatte. Eine Frau beschimpfte mich als „Stadttante“, eine andere als „Arschloch“.

Ich postete einen Coffee-to-go im Plastikbecher und bekam dafür sofort einen Rüffel, ich berichtete über meine Stoffwechselkur und schwärmte über meine neue, 10 Kilo leichtere Traumfigur – und verlor an einem Tag 300 Follower. Zuletzt kam ein Kaschmir-Pullover aufgrund der Verletzung der Tierrechte nicht gut an. Sollte ich mir ein dickeres Fell zulegen und einfach darüber hinwegsehen? Nein, ich musste verstehen, warum die Leute so reagierten. Sie folgen oder lesen Alexa Peng, weil sie Inspiration und Anleitung erwarten. Gerne auch mal einen Schwank aus dem wahren Leben, aber Kaffee im Plastikbecher? Nicht mehr im Jahr 2019.

Dementsprechend überlege ich mir jetzt drei Mal, welche Art von Kooperationen ich eingehe oder welches Foto ich poste. Manchmal passiert deshalb oft tagelang nichts auf meinem Feed. Mein Konsum hat sich nicht nur privat, sondern auch beruflich verändert. Ich recherchiere nicht nur, ob die Marken nachhaltig sind, sondern auch, ob die Produkte und der Anlass einwandfrei sind. Ich will nicht mehr wie früher jedes PR- oder Beauty-Sample for free einsacken, sondern denke erst darüber nach, ob ich die Klamotten brauche/anziehe und wenn ja, welche Geschichte ich dazu erzählen könnte. Dabei jedes Foto mit dem Hashtag #werbung zu versehen, macht keinen Spaß, aber es muss sein.

Und während ich vor ein paar Monaten noch gerne bei den großen Ketten bestellt habe, schaue ich jetzt lieber auf eBay-Kleinanzeigen oder neuen Vintage-Onlineshops wie StudioKor nach gebrauchter Kleidung. Vor allem für meine Tochter macht das viel mehr Sinn, denn die Sachen passen maximal zwei Jahre, bevor sie in die Kleidersammlung wandern.

Dennoch will ich mir nicht das „Sustainability“-Schild um den Hals hängen: Das Thema bearbeiten andere Kolleginnen länger, profunder und konsequenter als ich. Immerhin wurde ich in diesem Jahr in einem Artikel über Influencer-Marketing neben Kim Kardashian genannt. Eine den Influencern nicht besonders wohlgesonnene Journalistin schrieb, wir sollten nicht blind für alles Werbung machen, was uns angeboten wird, sondern uns auf das konzentrieren, was wir am besten können: schöne und schön-unverfängliche Shopping-Tipps zu geben. Ach?

Kampagnen wie #truediskriminierung, die Senkung der Tamponsteuer oder Accounts wie Diet Prada mit 1,7 Million Follower zeigen, wieviel Einfluß die Influencer heute tatsächlich haben können. Margarete Stokowski, Charlotte Roche und Madeleine Alizadeh sind nicht nur wichtige Stimmen im Netz, sondern sprechen für unsere Generation. Nicht zu vergessen ist die Klimaaktivistin Greta Thunberg, die von Time zur „Person of the Year“ gekürt wurde. Um Shopping-Tipps geht es keiner der genannten Frauen.

Natürlich maße ich es mir nicht an, mich in eine Reihe mit Charlotte, Maddie oder Greta zustellen, ne. Aber ich will sagen, dass sich unsere Art, wie wir Informationen erhalten, abwägen und filtern ändert – durch sie. Sie influencen also wirklich.

Die Gründer von Einhorn haben verstanden, wozu die Sozialen Medien in Zukunft dienen werden, abgesehen von Konsum-Tipps. Denn wenn sich Influencer untereinander vernetzen, werden sie zu Movers: Am 12. Juni 2020 wollen die Einhörner mit ihren Mitstreitern die Politik selbst in die Hand nehmen. Mit bis zu 90.000 Teilnehmern wollen sie bei einem Demokratie-Festival verschiedene Petitionen zu Themen wie Klimawandel, Rechtsruck oder globaler Ungerechtigkeit unmittelbar vor Ort verabschieden und damit direkt in den Deutschen Bundestag einbringen.

Am Anfang dieser Erfolgsgeschichte standen vegane und nachhaltige Kondome und Periodenprodukte – das war auch eine Art von Shopping-Tipp, ja. Aber längst nicht mehr unverfänglich im Sinne von harmlos und egal. In diesem Sinne: Ich bin gespannt auf 2020 und auch, was ich daraus mache!

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