Ein Jahr Landleben – mein vorläufiges Fazit

Ein Jahr Landleben – mein vorläufiges Fazit

Vor gut einem Jahr haben wir den Schritt gewagt, von dem viele träumen: Wir sind raus aus der Stadt aufs Land gezogen. Ich kam mit gemischten Gefühlen in Wusterwitz an. Würden sich hier, eine Stunde vom Berliner Hauptbahnhof entfernt, alle unsere Träume erfüllen und das Leben tatsächlich entspannter und sinnvoller werden? Das ist mein vorläufiges Fazit.

Fest steht: Wir haben bislang keinen einzigen Tag in „Wuwi“ bereut. Auch wenn der Winter einsam war und wir gerne mit der Renovierung des Hauses weiter wären, funktioniert hier viele Dinge für uns besser, als in der Stadt. Der Blick auf den See (und das Angelrevier) versöhnt Flori mit dem täglichen Pendeln nach Berlin und ich liebe es, das Haus einzurichten, im Garten zu arbeiten und jeden Tag einen Spaziergang an der frischen Luft zu machen.

Unsere Tochter entwickelt sich in Wuwi zu einem selbstbewussten Frechdachs. Die Kita-Anmeldung war unkompliziert, das Erzieher-Team ist super nett und Baby Peng kann es morgens kaum erwarten ihre Schuhe anzuziehen und mit Papa loszufahren. Sie ist viel draußen, singt, tanzt und malt gerne.

Klar, wir haben einen entscheidenden Vorteil: Flori ist in Wusterwitz aufgewachsen und somit haben wir sofort Anschluss gefunden. Als Baby Peng noch nicht in der Kita war, bin ich anfangs mit ihr zwei Mal in der Woche ins Familienzentrum Wusterwitz gegangen, wo wir andere Eltern und ihre Kinder kennengelernt haben. Das war toll und komplett kostenlos, sei es Familienfrühstück, Spielstunde oder Vorträge von Psychologen. Mir hat das unheimlich gut getan.

Mein Fels in der Brandung ist Floris Oma. Sie ist 77 Jahre alt und holt Baby Peng an zwei Nachmittagen von der Kita ab, damit ich bis abends arbeiten kann. Seit Ende der Elternzeit bin ich wieder voll berufstätig, kümmere mich um meine Jobs als Autorin (u.a. bei Elle.de), meinen Blog und die Instagramseiten.

Das schöne ist: Oma und Opa sind durch Baby Peng total aufgeblüht, sodass es eine Freude ist, die drei beim Toben zu beobachten. Davor haben sich die Alten schon mit dem Sterben beschäftigt und getrennte Betten gekauft, falls einer von beiden ein Pflegefall werden sollte. Oma weiht mich nach und nach in ihre Küchengeheimnisse ein und bringt uns jede Woche frische Eier von der Nachbarin.

Kein Schwanz definiert sich hier über die Arbeit und Instagram juckt auch keinen besonders, geschweige denn, welche Marken man trägt. Die Hilfsbereitschaft ist riesig. Als wir aus Sicherheitsgründen ein paar große Bäume im Garten fällen mussten, rückten Floris Freunde mit Trecker und Motorsägen an und halfen uns die großen Tannen kleinzumachen. Eine Höllenarbeit, für die die Jungs nicht mehr wollten, als ein Bier und einen Burger.

Was mir auf den Sack geht: der Klatsch im Dorf, bzw. die Angst vor dem Klatsch im Dorf. Wahrscheinlich lassen deshalb alle Einwohner um 18 Uhr die Rollladen runter, sodass Wusterwitz abends komplett verrammelt ist. Das finde ich so spießig und lasse unsere Fenster deshalb mit Festbeleuchtung so lange wie möglich offen.

Was mir das Herz gebrochen hat, war die Erfahrung mit Isi. Ich habe mir immer einen Hund gewünscht und dass es mit diesem kleinen Wesen bei uns nicht funktioniert hat, war für uns alle schmerzhaft.

Problematisch ist hier zum Beispiel auch, dass ich zwar wieder angefangen habe Autozufahren, aber da wir nur eine Karre haben, die Flori für die Arbeit braucht, ist meine Fahrpraxis noch nicht so sicher, dass ich mit Baby Peng alleine fahren würde. Als sie vor ein paar Wochen hohes Fieber hatte, musste ich also mit dem Taxi zum Kinderarzt.

In Berlin wäre das kein Problem, hier kann es sein, dass kein Fahrer kommt, weil sich die Anfahrt aus Brandenburg nicht lohnt. Da unser Kinderarzt an diesem Tag ausgerechnet Urlaub hatte und wir zu einer anderen Praxis weiter nach Brandenburg an der Havel und dann zurück nach Wusterwitz fahren mussten, habe ich 70 Euro für den Krankentransport bezahlt. Dafür saßen wir immerhin den ganzen Tag in einem Tesla.

Meine Freunde fehlen mir. Im Sommer waren die Mädels alle regelmäßig zum Baden und Sonnen hier, im Winter haben wir uns wenig gesehen. In der Stadt wäre es aber vielleicht nicht anders gewesen, da bei Matschwetter jeder lieber zuhause bleibt. Ich muss selbst meinen Hintern bewegen und sie besuchen. Das mache ich jetzt 1x im Monat. Dann schnappe ich mir Baby Peng und wir machen uns einen Mädelstag in Berlin, bei dem wir mit einem Frühstück in der Factory in Mitte starten, alle meine Freunde abklappern und von Spielplatz zu Spielplatz tingeln.

Mitten in der Stadt stelle ich für mich immer wieder fest, was für ein Luxusleben wir in Wusterwitz am See führen. Da liegen ein großer Garten mit Obstbäumen und ein Badestrand mit Sandbergen direkt vor der Tür. Wir sind wirklich viel mehr draußen als früher. Im Garten gibt es jede Menge zu tun, ich hole Baby Peng meistens mit dem Fahrrad von der Kita ab und wenn das Wetter halbwegs gut ist, spazieren wir die Uferpromenade runter und beobachten die Enten, Gänse und Schwäne.

Was ich ebenfalls vermisse: Hier mal einen Kaffee, da mal ein Stück Kuchen oder eine Sommerrolle – kulinarisch ist Wusterwitz am Arsch der Welt. Es gibt einen guten Döner, aber darauf habe ich nur Bock, wenn ich den ganzen Tag auf der Baustelle geschuftet habe.

Auf der anderen Seite haben wir aufgrund der fehlenden Einkaufsmöglichkeiten viel mehr Geld auf dem Konto, wobei die meiste Kohle jetzt für die Renovierung des Hauses draufgeht. Absurd, was wir schon für Summen bezahlt haben und immer noch kein zweites Bad, geschweige denn eine hübsche Fassade haben. Aber das ist auch das Schöne: Stück für Stück bauen wir uns hier unser eigenes Zuhause. Das ist ein ganz anderes Gefühl, als in einer Mietwohnung. Ich kann mir nicht mehr vorstellen in Berlin zu leben.

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