Werbung | Ich weiß nicht, wie es anderen geht, aber ich habe bislang keine Liste mit guten Vorsätzen oder brillanten Welteroberungsplänen für 2021 geschrieben.
In den Jahren zuvor waren meine To-dos mit den Dingen, die sich ändern sollten und die ich erledigen wollte, mindestens eine DIN A4 Seite lang. Ich gab mir zahlreiche Verbote („Nie wieder weißen Zucker!“), setzte mir knappe Deadlines („Das neue Buch in 8 Wochen fertig schreiben!“), forderte von mir Disziplin („Alkohol nur am Wochenende!“) und Durchhaltevermögen („3-5 Mal die Woche Sport“).
Zwölf Monate später stellte ich fest, dass ich die meisten meiner Vorsätze lediglich in schwungvollen Lettern aufgeschrieben, aber nicht mal ansatzweise eingehalten hatte. Ich kam nie auf die Idee zu hinterfragen, warum ich meine eigene Pläne sabotierte.
Meine Kernfamilie sitzt gesund und vollzählig am Esstisch, wir essen selbst gekochtes Essen und spielen Brettspiele: Das Coronajahr hat mir gezeigt, dass ich dankbar für jeden schönen Mini-Moment in meinem Leben sein darf. Einfach mal zufrieden sein und dabei die Klappe halten, ohne ein „Stimmt, aber…“ oder „Wenn jetzt noch…“ hinterherzuschieben.
Wenn der Lagerkoller droht, laufen wir eine Runde um den See oder graben den Vorgarten um – nicht nur in Lockdown-Zeiten können viele Familien von so viel Bewegungsfreiheit, wie wir sie haben, nur träumen. Als hätte ich das nicht schon geahnt, ist mein Schlüssel zum Glück nicht gold, sondern sogar ein bisschen dreckig.
Aber in Lebensphasen mit hoher zeitlicher Belastung und konzentrierten Lebensentscheidungen, auch bekannt als die „Rushhour des Lebens“, entgleitet mir das Bewusstsein für meine Privilegien oft wie nasse Lappen. Dann denke ich: Was ich habe, das ist nicht genug. Wofür ich stehe, es reicht nicht. Ich muss noch mehr erreichen: mehr Vermögen, mehr Einfluss, mehr Aufmerksamkeit. Das Ergebnis? Überforderung und To-Listen, die niemals enden.
Keine Sorge, ich stimme jetzt nicht wieder mein Loblied auf das vermeintlich so viel sinnvollere Landleben an. Im Gegenteil. Ich gebe offen zu, von was ich mich in diesem Jahr verabschieden musste. Anfangs wollte ich es nicht wahrhaben, aber ich bin keine Modejournalistin mehr. Ich war das letzte Mal vor vier Jahren auf einer Show, meinen langjährigen Auftraggeber habe ich zu Beginn der Coronakrise verloren und wie aktuell die richtigen Ansprechpartnerinnen bei den großen PR-Agenturen heißen? Ich weiß es nicht.
Ich hätte das Spiel weiterspielen können und so tun, als wäre ich noch mittendrin und harke nur zum Runterkommen von meinem Jetset-Leben im Garten das Laub zusammen. Die Digitalisierung macht vieles möglich, aber sicher nicht so eine Parallelexistenz. Meine bodenständige Gegenwelt ist längst zu meiner Realität geworden. Und dann tat ich etwas, was ich selten tue: Ich ließ los, obwohl dieser Beruf immer mein Traumjob war.
Ich verabschiedete mich zugunsten meines Nervenkostüms vom Machbarkeitswahn und verschob die Abgabe für mein neues Buch auf unbestimmte Zeit, nicht nur weil mich der Lockdown, sondern die Proteste gegen Rassismus und Diskriminierung mein Denken verändert haben. Viele Gefühle, die ich habe, kann ich noch nicht formulieren – aber sie arbeiten in mir.
Trotz der Bremse war 2020 für mich eines der erfolgreichsten überhaupt. Warum? Weil ich mich nicht mehr verstelle. Wenn ich mir für das neue Jahr also etwas vornehme, dann höchstens das: Täglich daran zu arbeiten, dass ich ich selbst bleibe.