Kinderstreit: Wie reagiert man als Eltern richtig?

Kinderstreit: Wie reagiert man als Eltern richtig?

Hier kommt für euch eine Zusammenfassung aus den über 750 Nachrichten, die ich nach einer Instagram-Story zum Thema Streit und Mobbing in Kita oder Schule von euch bekommen habe. Dazu gibt es Hinweise und Tipps, die ich online, in Büchern oder durch Gespräche mit Expert*innen wie der Kindheitsbegleiterin, Coachin und Schulsozialpädagogin Mady Jannakakidis gesammelt habe.

Die folgenden Informationen sind also nicht immer (nur) meine persönliche Meinung und auch nicht DIE einzig wahre Möglichkeit. Ich möchte euch die Anregungen weitergeben, die ich bekomme habe, damit ihr euch in einer ähnlichen Situation besser gewappnet fühlt.

Vor allem sollt ihr wissen, dass ihr nicht alleine seid. Und eure Kids auch nicht.

Kinderseelen sind sehr verletzlich. Deshalb sind Austausch, Solidarität und Verständnis unter den Eltern und Erzieher*innen so wichtig. Seit der Corona-Pandemie findet der Kontakt oftmals leider nur noch zwischen Tür und Angel statt. Ich zum Beispiel habe noch nie die Räume von innen gesehen, in denen mein Kind den ganzen Tag spielt.

Nach dem Lockdown kommen die Kinder wieder in die Gemeinschaft zurück. Dieses Gruppengefüge muss aber auch erst einmal wieder geschaffen werden. Viele Kinder waren lange isoliert, entweder zuhause oder in der Einrichtung.

Streit in der Kita, Kiga oder Schule kommt Post-Covid also vielleicht noch häufiger vor, ist aber keine Bagatelle. Das ist mir bewusst geworden, als ich gemerkt habe, wie viel Angst die Kinder und Eltern haben. Viele haben Schiss, etwas zu sagen, aus Angst von der Community ausgegrenzt zu werden.

Ich persönlich habe nur positive Rückmeldungen bekommen, was euch hoffentlich darin bestärkt, euch für eure Kinder einzusetzen. Und wenn’s Gegenwind gibt, dann denkt daran: Ihr seid ihr Anwält*innen eurer Kinder.

Im Gegensatz zu Erwachsenen, die sich Arbeitsplatz oder Freundeskreis selber aussuchen können, sind die Kinder ihrer Situation ausgeliefert. Aber nicht die Kinder müssen das Problem lösen, sondern die Erwachsenen müssen die Verantwortung übernehmen.

Besonders in der Zeit des Zahnwechsels („Wackelzahnpubertät“) stehen Kinder und Eltern vor emotionalen Herausforderungen, weil sich nicht nur körperlich viel verändert. Das Kind reift vom Klein- zum Schulkind. Stimmungsschwankungen, Wutausbrüche und Autonomiephasen kommen bei diesem Entwicklunssprung häufig vor. Stress ist damit vorprogrammiert, entweder zuhause und/oder in der Tagesbetreuung.

Aber im pädagogischen Alltag gehen diese Gefühle oft unter. Sensible oder gefühlsstarke Kinder werden übergangen, weil sie nerven. Auch Eltern die sich kümmern, gelten als anstrengend. Deshalb reagieren viele eher zurückhaltend.

Welche Zankereien fallen denn unter die „normale“ soziale Entwicklung von Kindern? Wann fängt Mobbing an? Wie geht man das Thema als Eltern richtig an? All das sind Fragen, die ich mir gestellt habe, als ich bemerkt habe, das sich mein Kind komisch verhält.

Im Nachhinein stelle ich fest, dass sie schon früher versucht hat, mir Hilfezeichen zu geben. Ich habe das aber mit „Das wird schon wieder“, „Geh doch einfach weg“, „Das ist nicht so schlimm“, „Dann wehre dich doch einfach mal!“ oder „Das muss du lernen“ abgetan.

Ergänzungen und Rückfragen sind unbedingt erwünscht, damit ich die Liste weiterführen kann. Gerne auch kritische Anmerkungen, wenn sie konstruktiv sind. Let’s go!

„Du bist mein*e beste Freund*in“ sagen Kinder schnell. (Mehr zum Thema in meinem Artikel „Keine beste Freundin“ im Ohhh Mhhh Abo). Expert*innen sprechen in jungen Jahren deshalb von „Spielgefährt*innen“. Denn darum geht’s: Mit wem macht Spielen am meisten Spaß? Wenn das Spielen keinen Spaß mehr macht, äußern die Kinder ihren Frust mit „Dann bist du nicht mehr meine beste Freund*in“. Tiefe Freundschaften werden meist erst später geschlossen.

Auch wenn man für das Kind „Wunschfreunde“ hat, weil man die anderen Eltern sympathisch findet, persönlich kennt und weiß, wo sie wohnen: Kinder suchen sich ihre Freund*innen selber aus. Aber kein Kind sucht es sich aus, gemobbt zu werden.

Mobbing ist ein fester Begriff und bezeichnet regelmäßig verbale oder physische Attacken gegen eine Person oder Gruppe. Manche sind der Meinung, dass er zu inflationär verwendet wird und bei Kindergartenkindern oder Grundschüler*innen nicht gilt, da deren Attacken in der Regel nicht systematisch geplant werden.

Andere finden, dass rücksichts- und respektloses Verhalten wie immer wieder kehrendes Kneifen, Auslachen, Schubsen und Gemeinsein sehr wohl Mobbing-Charakter haben. Auch bei den Kleinen.

Das bestätigt Daniel Duddek von Stark auch ohne Muckis. Mobbing im Kindergarten ist für ihn der Vorbote für spätere Schikanen und es ist wichtig, dass es von Beginn an keine Duldung findet. Das unterstreicht auch Mady Jannakakidis. „Die Grenzen müssen früh gewahrt werden.“ Denn was lernen die Kinder ansonsten, wenn die Erwachsenen keine Verantwortung übernehmen? Dass es besser ist, den Mund zuhalten, auch wenn Unrecht geschieht.

Die Häufigkeit der Handlungen ist entscheidend, ebenso wie die individuelle Leidensdruck der Opfer. Anzeichen, dass Kinder unter Stress leiden:

  • essen wenig
  • klagen über „Bauchweh“
  • wirken niedergeschlagen
  • schlafen unruhig
  • malen viel
  • ziehen sich zurück
  • sind verschlossen
  • wollen nicht in die Kita, Kiga oder Schule
  • klammern

Wann bei uns die Stimmung gekippt ist: Zank gab es schon früher und meist war es am nächsten Tag wieder ok. Dann berichtete meine Tochter häufiger von Hänseleien, Ausgrenzung und körperlicher Gewalt. Da habe ich das erste Mal das Gespräch mit einer Erzieher*in gesucht, ob das normal und mein Kind an den Streitereien beteiligt sei.

Sie reagierte offen und verständnisvoll, fiel wie ihre Kollegin kurze Zeit später aber wegen Krankheit aus. Beide Ansprechpartnerinnen, denen ich vertraute, waren weg. Vor ein paar Wochen sank die Stimmung auf den Tiefpunkt: Meine Tochter inszenierte ihre Beerdigung und wollte Bestechungs-Geschenke mit in die Kita bringen, damit sie nicht gehauen wird oder nicht den ganzen Tag „die Dienerin“ sein muss. Sie sagte: „Alle hassen mich“, „Ich bin dumm“ oder „Ich kann gar nichts“.

Ich habe daraufhin die neue Erzieherin angesprochen und gesagt, dass mein Kind nicht mehr in die Kita kommen will. Ich habe keine Details genannt, aber sie auf die Angst meiner Tochter aufmerksam gemacht. Ich musste jeden Morgen mit meiner Tochter diskutieren und ihr versprechen, dass ich sie früher abhole. Sie fragte: Wann kommst du? Warum kommst du so spät? Muss ich morgen in die Kita? Sie hat nach einem Ausweg aus der Situation gesucht. Das tut mir im Nachhinein so leid, dass ich das nicht verstanden habe.

Wie geht man in so einer Krisensituation am besten vor?

Sollte man die Eltern der anderen Kinder direkt ansprechen? Vielleicht, wenn man konkret weiß, um welche(s) Kind(er) es sich handelt und man die Reaktion der anderen Seite gut einschätzen kann. Also fragt euch: Kann man mit den anderen Eltern reden?

Expert*innen raten jedoch das Gegenteil: Ausschließlich die Erzieher*innen ansprechen, weil sie jeden Tag mit den Kindern arbeiten und – wenn gewünscht – ein Elterngespräch moderieren können.

Ich habe lange überlegt, wie und was ich sage. Mein Kind hatte große Angst, dass sie noch mehr Ärger bekommt. Der Begriff „Petzen“ fiel. Ich habe meiner Tochter erklärt, dass das kein Petzen ist und sie kein schlechtes Gewissen haben braucht. Auch die neue Erzieherin reagierte verständnisvoll.

Meine Tochter fühlte sich endlich ernst genommen. Ich habe richtig gemerkt, wie erleichtert sie war, weil ich das geklärt habe. Im Auto habe ich total geheult, weil ich das Gefühl hatte mein Kind all die Wochen zuvor im Stich gelassen zu haben.

Danach war ich sehr aufgewühlt und habe eine emotionale Instagram-Story gepostet. Womit ich nicht gerechnet hatte: Mein Nachrichtenfach explodierte. Es meldeten sich so viele andere Eltern mit dem gleichen Problem von Brandenburg bis Bayern. Was ich u.a. durch ihre Nachrichten erfahren habe:

  • Der Umgang der Kinder in Kitas und Schulen untereinander ist zunehmen aggressiv. Oft gibt es in einer Gruppe mehrere Mobbing-Opfer.
  • Die betroffenen Eltern setzen alle Hebel in Bewegung, aber vielen bleibt nur der Kita- oder Schulwechsel.
  • Die Gegenseite dreht die Situation oft um, sieht sich selbst als Opfer einer Bloßstellung oder Verschwörung.
  • Viele Eltern fühlen sich alleingelassen, denn oft ist anderen Eltern der Kinderstreit egal, so lange ihr Kind nicht ausgeschlossen wird.

Was kann man machen?

  • Erzieher*innen ansprechen. Wenn das nicht reicht: Kita-Leitung und dann den Träger informieren.
  • Kontakt mit anderen Betroffenen suchen. Mich haben so viele andere Eltern angeschrieben, was mich total bestärkt hat.
  • Die eigenen Verhaltensregeln und Formulierungen auf den Prüfstand stellen. Wie begegne ich meinem Kind: Mit Wertschätzung oder indem ich meine Machtposition als Mutter oder Vater ausnutze? Bin ich meinem Kind ein Vorbild?

Der Fokus sollte dann vor allem auf der psychischen Stärkung des Kindes liegen:

  • Resilienz (psychische Widerstandskraft) stärken, indem man ihm zeigt, was es schon alles geschafft hat. Loben!
  • Immer wieder reden: „Den Kindern Wörter geben“, sagt Mady Jannakakidis. „Sie wollen gehört werden.“
  • Bestehende Freundschaften pflegen.
  • Playdates mit neuen Kindern verabreden.
  • Sportarten testen, in denen die Mannschaft zählt.
  • Selbstbewusstsein außerhalb der Kita aufbauen durch Ausflüge, Wanderungen, Reiten, Reisen, Schwimmen etc.

Auch die Gegenseite braucht Hilfe. Für Jesper Juul sind Aggressionen wichtige Emotionen, die wir entschlüsseln müssen, sonst setzen wir die geistige Gesundheit, das Selbstwertgefühl und das Selbstvertrauen unserer Kinder aufs Spiel.

Mobbing kann ein Anzeichen sein für:

  • fehlendes Sprachvermögen
  • Langeweile
  • schwaches Selbstvertrauen
  • Sozialneid
  • Sanktionen
  • knappe Ressourcen
  • toxische Eltern- oder Geschwisterbeziehung
  • Gewalt
  • Missbrauch

Auch möglich: Die Kinder haben das Arschloch-Gen von Arschloch-Eltern geerbt. Manche Menschen schaffen sich durch aggressive Beeinflussung und Hetze gegen andere Menschen einen Lebensinhalt. Das ist aber deren Stress, nicht der eigene.

Mutmacher für die Kinder zum Mitnehmen:

Die Situation ist nicht einfach und auch ich war überfordert, weil ich mir solche Sorgen gemacht habe. Ich hörte von völlig verfeindeten Elternkreisen und Wettkämpfen unter Müttern, welches Kind die meisten Verabredungen vorzeigen kann. Geheult habe ich, wenn Eltern schrieben, dass ihr Kind nie richtig Freunde gefunden hat.

Das ist für mich als Mutter eines Einzelkindes eine große Sorge, dass meine Tochter keinen Anschluß findet und ich bin neidisch auf die in unserem Dorf bereits seit Jahren bestehenden Freundschaften, in denen die Kinder einfach miteinander aufwachsen, während meine Familie und Freund*innen in NRW oder Berlin leben. Merke:

Kinder triggern Traumata. Das gilt für die Eltern als auch Erzieher*innen. Wer bei sich nicht gut aufgeräumt hat, schaut vielleicht weg, wenn vor seinen Augen etwas Unrechtes passiert oder reagiert so wie ich extrem emotional.

Leider können wir unsere Kinder nicht vor jeder negativen Erfahrung beschützen. Streit, Frust und Ablehnung gehören für ihre soziale Entwicklung dazu. Es macht die Kinder nicht nur selbstbewusst, sondern emphatisch für Zwischenmenschliches.

Also hört euren Kindern zu, schaut welche Signale sie euch senden. Diese gilt es ernst zu nehmen und nachzuforschen. Wir machen jetzt eine Sommerpause und gönnen unserem Schatz Erholung. Danach beginnt die Vorschule und das letzte Kita-Jahr.

Und nicht vergessen: Eltern, die sich kümmern, finden andere oft anstrengend. Aber sonst ändert sich auch nie etwas! Mein Hoffnungsschimmer: Nach den Sommerferien haben viele Eltern und Kinder erlebt, dass sich die Situation bessert.

Literatur-Tipps:

Geborgen, mutig, frei – Wie Kinder zu innerer Stärke finden von Fabian Grolimund und Stefanie Rietzler

Du bist ok, so wie du bist: Beziehung statt Erziehung – was Kinder wirklich stark macht von Katharina Saalfrank

Aggression: Warum sie für uns und unsere Kinder notwendig ist und Vier Werte, die Kinder ein Leben lang tragen von Jesper Juul

Ich zähle jetzt bis drei!“ Wie Sie mit Kindern ins Gespräch kommen, im Gespräch bleiben und mit Fehlern umgehen von René Borbonus

Übermütig – laut – sensibel. Eine neue Sicht auf Ihr temperamentvolles und gefühlsstarkes Kind von Maike Liebschmitt

Wackelzahn-Pubertät. Gelassen durch die 6-Jahres-Phase. Der praktische Elternratgeber von Laura Fröhlich

Weiteres:

„Stark auch ohne Muckis“ von Daniel Duddek

Twitter-Thread: „Über Mobbing an der Schule“ von Martin Gommel

Kindermediation von Laura Maria Seiler

Welche Erfahrungen habt ihr gemacht? Habt ihr Tipps für betroffene Kinder und Eltern? Ich bin gespannt auf eure Kommentare!

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2 Kommentare

  1. Alexa
    Autor
    24. Juli 2022 / 16:34

    Liebe Jana, deinen Ärger kann ich gut verstehen. Ich drücke euch die Daumen, dass auch dein Aktiv-werden bald eine Wirkung zeigt. Ich habe von Schulen gehört, die in so einer Situation sofort aktiv werden und den Kindern gegenseitig Mentoren geben. Das fand ich toll! Alles Gute für euch!

  2. Jana
    19. Juli 2022 / 9:55

    Liebe Alexa,

    vielen Dank für Deinen Beitrag und die hilfreichen Literaturtipps!
    Meine Tochter (knapp 5) wurde in diesem Kindergartenjahr auch stark von einem älteren Mädchen gemobbt. Da ich die Eltern nicht kannte, habe ich mich auch an die Pädagoginnen der Gruppe gewandt. Sie haben das Gespräch mit den Eltern dann für mich gesucht. Was mich aber ärgerte war der Punkt, dass ich auf sie zugehen musste und sie nicht umgekehrt auch mal den Kontakt zu mir gesucht haben. Denn meine Tochter wollte nicht mehr in den Kindergarten und hat sich stark zurückgezogen. Durch die ganze Pandemie fand der Kontakt im Kiga immer nur zwischen Tür und Angel (und Maske) statt. Die Auswirkungen spürt man jetzt.
    Ich hoffe, dass es im letzten Kiga Jahr für meine Tochter wieder leichter wird. Jetzt brauchen wir erstmal eine kleine Auszeit.
    Alles Liebe für Euch,
    Jana