Im Job und daheim 100% Leistung bringen? Zwischen Computer, Wäscheständer, Yogamatte und Geigenfeige ist das bei mir gerade nicht möglich.
Der SPIEGEL schrieb erst kürzlich: Burn-out, Erschöpfung, Depression – Wie uns das Homeoffice kaputtmacht“.
Nach über vier Jahren in Heimarbeit kann ich ein Lied davon singen. Mobil, flexibel und digital – das ist alles die Zukunft. Das Problem ist bei mir die dauernde Erreichbarkeit, die Vielzahl meiner Aufgaben und neben dem fehlenden Austausch mit anderen Menschen das Verschwimmen von Grenzen: Was ist im Homeoffice geschäftlich, was bleibt privat?
Ich habe das Privileg in einem wunderschönen Homeoffice zu arbeiten. Fällt es mir deshalb so schwer, Feierabend zu machen? Warum reicht die Zeit nie, obwohl mein Einzelkind in der Kita ist?
Selbst wenn ich den Raum im ersten Stock verlasse und die Tür hinter mir zumache, habe ich das Handy in der Hand und kündige an „nur noch schnell“ dieses oder jenes machen zu müssen. Meistens dauert „schnell“ 45 Minuten. Mindestens. Irgendwann sah ich mein Kind alleine mit vor seinem Abendessen am Tisch sitzen, uns Eltern dagegen beide mit einem Handy in der Hand und dachte: „Shit, hier läuft was falsch.“
Nicht nur, dass wir Eltern nicht mit unserem Kind reden, sondern auch, dass wir Eltern als Paar und Freunde so keinen Draht zueinander finden können. Dabei ist Flori für mich oft die einzige Kontaktperson. Die Tage, die so liefen, fühlten sich immer leerer und leerer an. Und ich mich auch. Irgendwann habe ich nur noch geschrien, damit mich jemand hört.
Nicht nur die Arbeit ist unter Pandemiebedingungen schwieriger geworden, sondern auch Eltern zu sein, ein Paar oder Freunde zu bleiben. Man bekommt einfach nichts mehr mit. Und trotzdem fühlt sich im Kopf alles so „voll“ an. Warum war ich auf dem Weg ins Badezimmer? Wieso halte ich einen Stift in der Hand? Wen wollte ich heute Nachmittag anrufen? Welcher Tag ist heute?
Meine Konzentration ist überall und nirgends. Nachdem mir bewusst wurde, dass ich meine Schwester ein Jahr nicht gesehen habe, habe ich mich an den Genuss der unmittelbaren Gegenwart meiner Liebsten, genau die gute alte „Quality Time“ ist gemeint, erinnert. Der Begriff scheint im Zeitalter der Achtsamkeit seine Bedeutung zu verlieren. Nicht für mich. Denn ich will nicht nur eine schöne Me Time. Ich will vor allem eine schöne We Time.
Schnell noch eine Email beantworten, eine Story hochladen oder etwas online kaufen, damit es am nächsten Tag geliefert wird? Den meisten Druck im Homeoffice mache ich mir selber. Aber gerade der hausgemachte Druck hat es in sich. Wem will ich eigentlich was beweisen? Als meine Mama zu Ostern zu Besuch kam, habe ich sie als erstes gefragt, ob sie ihren Blutdruckmesser dabei hat. Mein Gesicht ist am Nachmittag so knallrot, dass selbst meinem Schwiegervater meine Stressbirne auffiel – und der sagt sonst nie etwas!
Meine innere Stimme meldete sich zu Wort und sagte: „Nimm den Druck raus, du lebst nur einmal.“
Es beginnt mit einem Digital Detox im Miniformat. Zum Beispiel 1x in der Woche 1 Stunde Sport ohne Handy machen. Am Anfang habe ich noch Videos mitgeschnitten. Das klemme ich mir jetzt, denn die Frauen in Wusterwitz lachen mich dafür aus und sie haben recht. Kein Mensch will sehen, wie ich während des Trainings nach dem 11. von 20 Burpees versage. Außerdem habe ich eine Wochenzeitung im Abo bestellt. Ich will wieder lange Texte und Hintergrundberichte lesen, nicht nur die entmutigenden Schlagzeilen.
Auch gut: Kurze Spaziergänge ohne Handy, mindestens 15 Minuten einmal das Seeufer hin und wieder zurück. Mit meinem Kind ein Puzzle legen, es bei seinen Spielen begleiten und aktiv daran teilnehmen, nicht derweil meine Instagram-Nachrichten checken. Mit Flori auf der Terrasse ein Bier trinken, Radtouren in der Abendsonne, ein großes Feuer im Garten machen und mit rauchigem Haar ins Bett gehen. Regelmäßiger Ausgleich ist ein kleiner, aber so wichtiger Anfang. Emails beantworte ich am nächsten Tag. Nicht mehr um 22:59 Uhr.
Pullover: Zoe Ona (PR-Sample)