Kolumne: Wie ich meinen Frieden damit gemacht habe, dass meine Tochter schlecht schläft

Kolumne: Wie ich meinen Frieden damit gemacht habe, dass meine Tochter schlecht schläft

Die Nächte, in denen mein inzwischen dreieinhalb Jahre altes Kind eine ganze Nacht durchgeschlafen hat, kann ich an einer Hand abzählen. Ich habe jeden Ratgeber, jeden Foren-Beitrag und jeden Kommentar auf den Mamiblogs gelesen. Kein Tipp, Ritual oder Coaching hat bei uns jemals den großen Durchbruch gebracht. Und damit habe ich jetzt meinen Frieden gemacht. Mein Kind schläft beschissen. Der Stand der Dinge bleibt also: Augenringe. Und zwar bei uns beiden.

Immer wieder bekomme ich Nachrichten von ebenso verzweifelten Mütter, die mich um Rat bitten. Ich weiß keinen, ging ich doch selber schon bald nach der Geburt total auf dem Zahnfleisch, weil mein Kind tagsüber nur in seiner Trage schlief und nachts in seinem Beistellbettchen alle zwei bis drei Stunden schreiend aufwachte. Ich suchte monatelang nach einer Lösung und zelebrierte Rituale bis zum Abwinken. Ich gab keinen Zucker, rannte mit meiner Tochter durch den Wald, erlaubte kein Fernsehen, reichte Kügelchen, ließ den Mittagsschlaf ausfallen – wir haben in den letzten drei Jahren alles durch, was angeblich Besserung verspricht. Das Ergebnis: Meine Tochter ist um 21 Uhr immer noch so fit wie ein Dilledöppchen.

Nach dem Ende der Elternzeit litt meine Arbeit als Journalistin unter meinem Schlafmangel erheblich, denn ich konnte mich tagsüber nicht auf meine Texte konzentrieren und geriet wegen jeder Kleinigkeit aus der Fassung. Es ging so weit, dass ich einen Job freiwillig hinschmiss und den anderen verlor.

Harsche Tipps, wie etwa die Erziehungsmethoden der Nazi-Nanny Johanna Haarer, lehnte ich jedoch zu jedem Zeitpunkt entschieden ab. Zum Beispiel: Das Kind ins Bett legen, das Zimmer verlassen und das Kind schreien lassen. Nur ab und zu mal reinkommen, aber nicht hochheben, damit das Kind lernt sich alleine zu beruhigen – mein Mutterherz rief „Bullshit!“ und ich stürmte ins Kinderzimmer. Immer wieder haben mir Expert*innen bestätigt, dass solche Methoden das Urvertrauen zwischen Mutter und Kind schädigen können und die Kinder nur aufhören zu weinen, weil sie aufgeben – nicht aber, weil sie verstanden haben, dass Mami nun möchte, dass Schlafenszeit ist, weil sie die neue Folge „Chef’s Table“ gucken will. Kinder können erst, wenn sie ungefähr sechs Jahre alt sind, sich von der Ratio leiten lassen. Davor leben sie in einer magischen Welt, in der man Schmerz wegpusten kann und der Weihnachtsmann die Geschenke durch den Schornstein bringt.

Was den Durchbruch brachte: mehr Verständnis von mir als Mutter für mein Kind.

Als Erwachsene haben wir so hohe Ansprüche, was „guter“ Schlaf ist und erfahren oft Situationen, in denen wir nicht einpennen können: weil die Matratze im Hotel unbequem ist, der Nachbar laut Techno hört, die Pasta schwer im Magen liegt, weil wir aufgedreht von einem ereignisreichen Tag sind oder uns Sorgen machen, was die Zukunft nach Corona bringt. Jeder Dritte wälzt sich Nacht für Nacht von einer Bettseite auf die andere. Warum erwarten wir von unseren Kindern, dass sie wie auf Knopfdruck funktionieren und sich wie ein Computer runterfahren?

Ein wichtiger Denkanstoß in diesem Zusammenhang war die Arbeit von Dr. Guy Meadows, der das Buch „Schlaf gut! Das Geheimnis erholsamer Nachtruhe“ geschrieben hat. Er erklärt darin das Paradox, dass sich Schlaflosigkeit erst recht verfestigt, wenn man versucht sie loszuwerden. In seiner Londoner Sleep School verfolgt er einen Ansatz, der auf der Akzeptanz- und Commitment-Therapie (ACT) beruht. Dabei geht es um das achtsame Annehmen von negativen Gefühlen (Akzeptanz) und zielgerichtete Handlungsabsichten (Commitment) entsprechend der persönlichen Werte. Das Ziel von ACT ist, die psychische Flexibilität zu erhöhen, die für ein wertorientiertes Leben unter ständig wechselnden Bedingungen erforderlich ist. Klingt nach einer ziemlich guten Lebensphilosophie für die heutige Zeit, oder?

Auch ich übte mich darin meine negativen Gedanken („Jetzt schläft sie schon wieder nicht!“… „Scheiße, ich schaffe meinen Text nicht!“ … „Ich brauche aber das Geld!!“) zu beobachten, anzunehmen und dann: loszulassen. Denn was passiert schon Schlimmes, wenn ich meinen Text nicht schaffe? Dann gebe ich ihn eben am nächsten Tag ab. Stattdessen konzentrierte ich mich auf die Beziehung zu meinem Kind und versuchte seine Signale richtig zu deuten, die es mir als seine wichtigste Bezugsperson gab. Es braucht Nähe? Dann gebe ich sie ihm. Es hat Angst? Dann beschütze ich es. Es kann nicht einschlafen? Dann lese ich noch eine Geschichte vor oder erzähle zum 89. Mal, wie es auf die Welt gekommen ist. Das ist mega anstrengend, keine Frage. Aber:

In den letzten dreieinhalb Jahren konnte ich rein gar nichts an dem Schlafverhalten meiner Tochter ändern – nur an meiner Einstellung, wie ich als ihre Mutter mit der Situation umgehe.

Ich spreche deshalb in diesem Zusammenhang auch nicht mehr von „Schlafproblemen“, wobei ich, wie die meisten Eltern, den kindlichen Schlafbedarf ohnehin überschätzt habe. Auch wenn gleichaltrige oder sogar noch jüngere Kinder angeblich sieben bis zehn Stunden tief und fest schlafen – meine Tochter tut es nicht und das ist okay. Sie ist eben ein Typ, der mit weniger Schlaf auskommt.

Gerade in den Minuten, in denen ich ausflippen könnte, weil sie wieder nicht einschlafen kann und ich eigentlich noch arbeiten muss oder die schwedische Krimi-Serie weiterschauen möchte, geht es gar nicht. Meistens ist es dann bereits nach 22 Uhr und der Abend eh für mich gelaufen. Und genau damit habe ich jetzt meinen Frieden gemacht.

Die Kunst des Einschlafens besteht darin, im richtigen Moment loszulassen. Für sie als Kind, denn Einschlafen bedeutet immer auch Abschied von den Eltern. Aber auch für mich als Mutter von meinen starren Vorstellungen, wie mein Kind zu sein hat.

Natürlich gibt es nach drei Jahren ein paar Dinge bzw. Rituale, auf die ich jeden Abend achte. Vielleicht sind ein paar Ideen für euch dabei, aber ich behaupte von keinem dieser Schlafhacks 100% Wirksamkeit.

  • kohlenhydratreiches Abendessen (Nudeln, Brot) ca. zwei Stunden vor dem Schlafengehen servieren
  • warme Dusche mit anschließendem Eincremen, Zähneputzen und Pyjama (*Link) anziehen
  • unter der Woche: max. 30 Minuten Netflix Kids (aktuell: „Bibi & Tina“). Bei uns sind das Handy oder ipad für das Kind tabu, da wir Eltern mit den Handys „arbeiten“ und das blaue Licht wach macht
  • Lern-Bücher wie „Alle haben einen Po“ machen meiner Erfahrung nach müder, als stumpfe Prinzessinnen- oder Babytier-Geschichten
  • keine billige Bettwäsche oder Decke aus Synthetik, sondern atmungsaktive Materialien wie Baumwolle, Leinen oder Wolle. Eine Therapiedecke beruhigt mein Kind, ist aber nicht günstig
  • Trinkflasche mit Tee oder Wasser steht für die Selbstbedienung neben dem Bett. Die Milch haben wir im Dänemark-Urlaub abgeschafft. Wir haben sie einfach nicht mitgenommen. Durch die neue Umgebung war die Umstellung easy
  • das Nachtlicht „Snuffy“ von Mr. Maria leuchtet zur Sicherheit; das Kind kann die Helligkeit selbst bestimmen

Das Kinderzimmer muss dunkel und kühl sein, außerdem sorge ich für ausreichend frische Luft. Im Sommer bleibt das Fenster auf. In kalten Nächten lüfte ich vor dem Schlafengehen einmal kurz durch. Die Tür zum Flur bleibt immer geöffnet, damit mein Kind das Licht sehen und Geräusche von uns Eltern aus der Küche oder dem Wohnzimmer wahrnehmen kann. Außerdem ist es für mich gut, wenn ich zu ihr muss, wenn sie weint. Im Schnitt sind es jede Nacht zwei bis drei Mal.

Ich wünsche euch eine gute Nacht!

Foto: Sandra Semburg für April First

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